Am dritten Tag seines Deutschlandbesuchs – einem Mittwoch- sprach der damalige US-Präsident John F. Kennedy seine berühmten Worte: „Ich bin ein Berliner“. Er stand vor dem Schöneberger Rathaus und wandte sich an hunderttausende Berliner, die sich auf dem Platz versammelt hatten. Die Worte des jungen Präsidenten erreichten nicht nur die Ohren der Anwesenden, ein Bild – sinnbildlich für seine flammende Rede – ging um die Welt. Urheber war der junge Fotograf Jochen Blume, der an diesem Tag sein wohl bekanntestes Foto schoss. In diesem Sommer jährte sich diese Momentausnahme zum 50. Mal
Zur Fotografie kam Jochen Blume eigentlich eher zufällig, eine Ausbildung zum Fotografen hat er nie gemacht. „Mein Auge für gute Kompositionen habe ich von meinem Vater geerbt“, ist der 88-Jährige sich sicher. Im Jahr 1925 geboren, wuchs Blume bei seiner Mutter auf. Erst als er 26 Jahre alt war, lernte er seinen Vater kennen mit dem er die Leidenschaft für Fotografie und für schnelle Autos teilt. „Meine Eltern lebten getrennt, ich denke, mein Vater hat meine schwangere Mutter einfach sitzen gelassen.“ Nach ersten Schritten als Fotograf bei Nachrichtenagenturen, heuerte er schließlich bei der neugegründeten Bild-Zeitung an, mit der er später brach. „Mein Bild gehört nur mir“, sagte er sich und zerschnitt auch Negative um die Zeitung an weiteren Veröffentlichungen zu hindern. Mit einem persönlichen Telefonanruf lockte Henri Nannen den jungen Blume schließlich zum Stern. Für die Publikation schoss er zahlreiche Titelbilder. „Ich konnte alles fotografieren“, fasst er seine Vorzüge zusammen. Beim Vorstellungsgespräch traute sich Blume erst beim Verlassen des Raumes, Nannen nach seinem Gehalt zu fragen. Dieser antwortete: „Bei der Sekretärin liegt ein Vertrag, schreiben Sie sich einfach eine Zahl rein.“
Berühmt wurde Blume aber mit dem Porträtbild des jungen Kennedy vom 26. Juni 1963. Die Welt schaute nach Berlin und sah das Porträt des US-Präsidenten. „Es geht darum, den perfekten Moment zu erwischen. Damals konnte man nur eine begrenzte Anzahl von Fotos machen“, sagt Blume. An diesen Tag erinnert er sich auch heute noch gut: „Ich liebe weite Brennweiten und hatte an diesem Tag vier verschiedene Kameras dabei.“ Nur Kennedy’s Fotografen durften ihre Ausrüstung auf dem Balkon auspacken, Blume musste sich einen anderen Platz suchen. Als einziger Fotograf hatte er aber ein Teleobjektiv mit 600er Brennweite dabei und drückte auf den Auslöser. Er erwischte den Moment, der ihn berühmt machte.
Wenn Jochen Blume von seiner Arbeit redet, dann wirkt er sicher und routiniert. Er hat die Geschichten, die er als Fotograf erlebte, gefühlte hundert Mal erzählt. Gekonnt imitiert er Gesten und Mimik beteiligter Personen. Unsicher wird er erst, als das Gespräch persönlicher wird. „Worauf sind Sie besonders stolz?“ Blume – im beigen Tweetsacko, darunter ein gestreiftes Hemd mit Manschettenknöpfen – schluckt und schweigt. Er überlegt, hält sich an seinem Wasserglas fest. „Besonders stolz bin ich auf die Bilder, die ich nicht gemacht habe. Bestimmte Dinge fotografiert man einfach nicht“, meint er. Jemanden beim Essen zu fotografieren beispielsweise. Oder als er in Paris einen bekannten Schauspieler sah, der in aller Öffentlichkeit turtelte und knutschte. Leider nicht mit seiner Ehefrau. Solche Aufnahmen seien „Stolpersteine der Erinnerung“, meint er. Die Erfahrungen der Nazizeit haben ihn empfindsamer gemacht für die Gefühle anderer Menschen, sagt er. Über seine Jugend im Dritten Reich und schwere Jahre der Kriegsgefangenschaft hat er ein Buch geschrieben.
Heute wohnt er in Fuhlsbüttel auf rund 1000 Quadratmetern – Garten inklusive. „Ich wohne allein, das ist scheiße“, gesteht er. Das Arbeitszimmer seiner Frau, die vor drei Jahren an Krebs starb, ist unangetastet. „Ich habe es noch nicht geschafft, ihr Zimmer auszuräumen.“ Von der Liebe seines Lebens spricht er, mit ihr habe er endllich Ruhe gefunden, so Blume. „Für mich ist die Gartenarbeit reine Pflichtaufgabe, aber wenn meine Frau im Garten arbeitete, dann war sie so glücklich.“ Er schwelgt in Erinnerungen, lächelt und für einen Moment hat man das Gefühl, da ist er: der perfekte Moment.